Da muss er durch!

Da muss er halt durch!

- wie wir mit den Ängsten unserer Hunde umgehen sollten
Ich hatte gedacht, der Mythos „Da muss er halt durch!“ sei ausgestanden. Die Praxis zeigt, dass dem nicht so ist. In diesem Beispiel war es ein Welpe, der Angst vor einem Alltagsgegenstand zeigte. Es wurde geraten, den Angstauslöser (hier ein Regenschirm) nicht zu entfernen und das Verhalten der jungen Hündin zu ignorieren und Fluchtversuche zu unterbinden. Sie würde sonst lernen, dass sie berechtigt Angst hat. Erst wenn sie sich ruhig verhalten würde, sollte man den sich bewegenden Regenschirm und den Menschen, der diesen betätigt, entfernen und wieder mit dem Hund interagieren.
- Das Gefühl des Kontrollverlusts erhöht das Angstgefühl beim Hund

Ich war mit diesem Vorschlag gelinde gesagt überhaupt nicht glücklich. Im Folgenden erkläre ich auch, warum ich das so sehe. Was da gemacht wurde, nennt man Flooding. Bei dieser Technik hofft man auf eine Erschöpfung der Stressreaktion. Der Welpe wurde dem Angstauslöser intensiv ausgesetzt, Fluchtreaktionen unterbunden, sein Verhalten sollte dabei vom Menschen ignoriert werden, und diese „Übung“ war erst beendet, als der Hund augenscheinlich ruhiges Verhalten gezeigt hat. Auch wenn es Berichte gibt, dass diese Technik im Humanbereich Erfolge gezeigt hat, gibt es diverse Nebenwirkungen und weitaus bessere Alternativen.

Der Hund kann sich beim Flooding der angstauslösenden Situation nicht entziehen und erlebt den totalen Kontrollverlust. Die Nebenwirkungen des Floodings können sein:

  • stark erhöhtes Erregungsniveau, somit erhöhte Wahrscheinlichkeit von unerwünschtem Verhalten, auch ist ein Lernen bei zu hohem Stress schlecht möglich (googelt gerne mal nach Yerkes-Dodson)
  • extremes Fluchtverhalten resultierend aus dem hohen Erregungsniveau
  • Aggressionsverhalten, weil die Flucht durch die körperliche Einschränkung verhindert wird und so auf eine andere Konfliktstrategie gewechselt wird (mehr dazu findet ihr hier: 4 Fs – Konfliktstrategien beim Hund)
  • Sensitivierung – Der Angstauslöser löst früher und/oder intensiver Angst aus, da die Lernerfahrung negativ war und das Hirn sagt: Achtung Regenschirm – richtig blöde Situation! Sei nächstes Mal auf der Hut! Also wird der Hund nicht erst Angst zeigen, wenn der Regenschirm nah vor ihm betätigt wird, sondern vielleicht bereits, wenn dieser nur in der Hand einer sich nähernden Person liegt.
  • Negativverknüpfungen mit dem Halter & der Trainingssituation, unsere Hunde sind Kontextlerner und das Angstgefühl kann nicht nur mit dem Gegenstand verbunden werden, sondern auch mit der Trainingssituation und dem Menschen, der durch diese Situation geführt hat
- „Dem Hund passiert ja nichts“ stimmt nicht

Oft hört man Trainer sagen, der Hund soll lernen, dass ihm nichts passiert. Aber das stimmt nicht, weil dem Hund bereits einiges passiert. Er empfindet Angst und die dementsprechenden Hormone werden im Körper ausgeschüttet. Auch lernt dein Hund, dass er in dieser Situation keine Unterstützung vom Halter erfährt – und dies ist bestimmt nicht zum Vorteil für eure Beziehung zueinander.

Ein guter Trainer kennt Alternativen. Man bleibt z.B. mit dem Angstauslöser in einem Abstand, in welchem der Hund diesen zwar wahrnimmt, aber noch keine Angst oder Meideverhalten zeigt. Hier können wir ruhiges Verhalten belohnen und gleichzeitig wird der Angstauslöser mit etwas Schönem verknüpft. Im Verlauf des Trainings bedeutet der dieser nicht mehr: „Oh gruselig!“, sondern „Oh, jetzt kommt gleich was Tolles!“. Im Laufe der Zeit modifizieren wir verschiedene Faktoren wie Distanz, Positionierung, Dauer und andere relevante Dinge. So verändern wir nachhaltig und kleinschrittig die Bedeutung des Angstauslösers. Auch können wir ein Entspannungsignal konditionieren. Nicht falsch verstehen – dein Hund fällt dann nicht in einen Tiefschlaf nach dem Entspannungssignal, sondern wir senken etwas die Erregung und machen ihn damit wieder ansprechbar. Es gibt auch viele weitere Möglichkeiten, die deinem Hund nett und nachhaltig ermöglichen Ängste zu überwinden. Der Werkzeugkoffer eines vernünftigen Trainers ist gut gefüllt. Aber Flooding ist bestimmt nicht das Mittel der Wahl! Ich weiß, dass wir unsere Umwelt nicht immer kontrollieren können und der Alltag Situationen bereithält, die deinen Hund ängstigen und ihr da irgendwie durch müsst. Das kann passieren und du solltest es so nett wie möglich für deinen Hund gestalten. Aber ein „Da muss er durch“ im Training gegen echte Angst ist Quatsch.